Es ist schon nach Mitternacht, als ich durch den Bahnhof zum Taxistand hetze. Ich bin müde und mir ist kalt, dabei trage ich mehrere Schichten: eine Daunenjacke, gefütterte Winterstiefel, wollene Handschuhe und eine Mütze. Vor dem Ausgang liegt ein Obdachloser, eingehüllt in einen verdreckten Schlafsack hinter einem Einkaufswagen mit seinen Habseligkeiten. Eine Tüte, aus denen ein paar Klopapierrollen quillen, eine leere Colaflasche, in der eine verbogene Gabel steckt, ein Müllsack mit alten Textilien. Der kann hier doch nicht liegen, denke ich. Heute Nacht werden die Temperaturen weit unter den Gefrierpunkt sinken. Dann fährt das Taxi vor und ich springe rein.
Zuhause hat die Heizung schon auf den Nachtmodus geschaltet, doch die Wohnung fühlt sich immer noch behaglich warm an. Ich schlüpfe in meinen kuscheligen Schlafanzug und lege mich in mein Bett. Das ist bereits vorgewärmt.
Glück?!
Luxus!
Normalität.
Nicht für den Obdachlosen.
Die erste Email, die ich am Morgen lese, während ich eine heiße Zitrone trinke: eine Hilfsorganisation bittet um eine Spende für die Kälte-Einrichtungen für Obdachlose in verschiedenen Großstädten in Deutschland.
Das Wichtigste, was ich an diesem Tag vollbringe: ich spende.
Und ich wünsche mir, dass irgendjemand den Obdachlosen samt seines Einkaufswagens noch in das Bahnhofsgebäude gezogen hat. Oder in einen geöffneten U-Bahnschacht, oder in die Bahnhofsmission.
Hätte ich ihm mein Taxigeld schenken sollen und wäre mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause gefahren?
Mein Weg war nicht weit.
Hätte ich ihm das Geld schenken sollen und wäre trotzdem mit dem Taxi nach Hause gefahren?
Hätte ich ihn ansprechen sollen und ihn fragen, ob er Hilfe braucht?
Alles wäre möglich gewesen.
Und doch habe ich es in diesem Moment nicht getan.
Ein Mann, der auf der Straße liegt, ein alltägliches Bild.
In dem Moment, als ich ihn wahrnehme, habe ich ihn schon wieder vergessen.
Dabei darf mich dieses Bild nicht kalt lassen. Erst recht nicht in diesen Tagen.
Draußen schlafen ist keine Option. Nicht bei diesen Temperaturen.
Allein in Berlin sind an die 10.000 Menschen obdachlos, so schätzt man. Die Berliner Kältehilfe ist jedoch mit ihren 700 Schlafmöglichkeiten schon in den ersten Tagen des neuen Jahres an ihre Auslastungsgrenze gestoßen.
In vielen Städten gibt es Kältebusse, doch das ist so eine Sache.
Einfach die Telefonnummern weitergeben, wie auf facebook gesehen, ist oft kontraproduktiv, denn viele Nummern sind schlichtweg falsch oder dahinter verbergen sich die Anrufbeantworter irgendeiner Mission, die nachts nicht besetzt ist.
Wenn man bei eisigen Temperaturen einen Obdachlosen auf der Straße sieht, dann sollte man etwas beachten und das hat auch mit Menschenwürde und mit dem Recht auf Selbstbestimmung zu tun.
Generell gilt, (wenn die Person nicht schon bewußtlos ist):
-Erst einmal die Person ansprechen.
-Wenn die Person Hilfe akzeptiert, dann die 110 oder 112 anrufen.
-Wenn die Person nicht ansprechbar ist oder keine Reaktion zeigt, dringend die 112 anrufen, also den Rettungsdienst!
Vielleicht hat die Person ja bereits starke Anzeichen einer Unterkühlung, ist alkoholisiert oder unter Drogen und realisiert den eigenen, möglicherweise bereits lebensbedrohlichen Zustand nicht mehr.
-Wenn die Person keine Hife möchte, dann bitte weitergehen. Die Menschen haben dann gute Gründe dafür und sind im Zweifel in der Lage, auch selbst noch zu handeln. (Quelle: mimikama)
Erst neulich hatte ich mir auf dem Flughafen ein Ebook heruntergeladen, das sich mit diesem Thema befasst, es war ein Impuls, nachdem ich bei einem Besuch in Barcelona auf so viele Obdachlose und bettelnde Menschen gestoßen war.
Es ist die Geschichte eines Mannes, der drei Monate auf der Straße gelebt hat. Er hat sich in Deutschland und Frankreich unter Obdachlose gemischt und ihre Geschichten aufgeschrieben.
Das Buch ist tief erschütternd, weil man dabei erkennen muss, dass es (fast) jeden von uns von heute auf morgen genauso ergehen könnte.
Nein, natürlich nicht, das passiert ja nicht!
Und doch passiert es immer wieder, wer ist schon freiwillig obdachlos?
Der steigende Leistungsdruck, eine drohende Entlassung, plötzlich Hartz IV.
Dann verlässt einen der Partner, die Kinder wollen nichts mehr mit einem zu tun haben. Es gibt keine Freunde mehr, die einem aus dem Sumpf ziehen können, das Leben wird sinnlos und plötzlich fällt man durch die Maschen des Sozialstaates, von dem man vor kurzem noch wohlig umhüllt war.
So oder so ähnlich könnte es passieren, eine unglückliche Verkettung von Umständen, eine unaufhaltsame Abwärtsspirale.
Ich habe das Buch noch nicht beendet und hatte gehofft, es im Bookclub weiter zu lesen, aber meine Mädels haben schon abgelehnt.
Ich kann ihnen keinen Vorwurf machen.
Nach einem Arbeitstag, Kindern und einem Haushalt ist das nicht unbedingt die Lektüre, die einen in den Schlaf begleiten sollte.
Oder doch?
Die Lebensgeschichten vieler Obdachlosen fangen ja alle anders an: Es war einmal ein junger Mann, der hatte viele Träume……
Und natürlich gibt es auch viele Frauen, die hatten irgendwann mal schöne Träume, wie ihr Leben aussehen sollte.
Und plötzlich finden sie sich auf der Straße wieder.
Die Geschichten dieses Buches haben mich tief berührt und sie haben etwas mit mir gemacht.
Ich will nicht mehr wegsehen, sondern helfen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, durch eine Geldspende, durch eine Zeitspende.
betterplace.org
Ich möchte den Menschen sehen und seine Geschichte dahinter und keinen stinkenden Penner, der da liegt, wie tausende andere auch.
Auch das Hamburger Strassenmagazin Hinz & Kunzt hat tolle Projekte und man kann die Zeitung auch online lesen!
Und das ist spannend und bewegend zugleich, denn dort arbeiten viele Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und Projekte auf die Beine stellen, um obdachlosen Menschen einen Job und irgendwann auch eine Wohnung zu ermöglichen.
Und ja, dieser Post ist viel zu lang geworden, ich entschuldige mich dafür, aber dieses Thema lässt mich nicht mehr kalt.
Im Winter erst recht nicht.
Und solltet ihr euch dafür interessieren, diese Bücher geben einen guten Einblick. Das Kinderbuch, prima für Kinder ab dem Grundschulalter, hat mich wirklich beeindruckt. Behutsam erklärt es Kindern die Geschichte eines Mannes, der nie vorhatte, ein Obdachloser zu werden. Es erklärt, ohne Angst zu machen, denn am Ende gibt es Hoffnung.
Hoffnung, dass wir den Menschen am Rande unserer Gesellschaft mit mehr Menschlichkeit und Offenheit begegnen.
Habt einen schönen Tag,
XXX Michaela
Mir geht es wie dir. Letzten März ging ich zum Frisör und auf der anderen Straßenseite lag ein Obdachloser in eisiger Kälte. Er tat mir so leid, das ich noch schnell im Kaufhaus eine Decke kaufte und sie um ihn legte bevor ich dann viel zu viel Geld beim Frisör ausgab.Als ich 1 Stunde später raus kam, war der Obdachlose weg und die Decke lag im Dreck der nassen Strasse. Ich war nicht sauer, sondern dachte mir nur, so einfach ist es eben auch nicht. Ein Mensch der eine Decke bei der Kälte liegen lässt, ist schon in einem ganz anderen Stadium, da muss man schon mehr machen als so ein bisschen Stoff besorgen…….