Ein tiefgreifender psychologischer Krimi, der die Nebenfigur zur Hauptfigur macht und auch mal wieder ein Roman, der in unserer Bookclubrunde zu hitzigen Diskussionen geführt hat.
Worum geht es:
Die zweijährige Bella wird aus dem Vorgarten entführt. Für die alleinerziehende Mutter beginnt ein Alptraum. Die Angst um ihr geliebtes Kind, die eigenen Schuldgefühle darüber, ihre Tochter für einige Zeit aus den Augen gelassen zu haben und die Schuldzuweisungen der Öffentlichkeit, als Mutter die Aufsichtspflicht verletzt zu haben, bringen sie fast um den Verstand.
Für den Ermittler Bob Sparks beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, können sie die kleine Bella lebend finden?
Die meisten Zeugenaussagen laufen ins Leere, bis die Polizei mit dem Lieferwagenfahrer Glen Taylor einen ersten Tatverdächtigen ausmachen kann.
Doch die Beweise reichen nicht aus und er wird wieder aus der Untersuchungshaft entlassen.
Als Glen bei einem Unfall ums Leben kommt, wird der Fall in der Öffentlichkeit erneut aufgerollt.
Die Journalistin Kate soll sich an die Fersen der trauernden Witwe heften, um das ganze Martyrium um die falschen Verdächtigungen gegen ihren Ehemann, die Scham und die Verletzungen der Öffentlichkeit noch einmal aufleben zu lassen.
Und die Witwe? Viel zu lange musste Jean Taylor nach den Regeln ihres Ehemannes spielen.
Und jetzt soll sie sich den Regeln der Yellow Press unterordnen?
Dabei hat sie ihre eigenen Wünsche, die sie endlich ausleben darf.
Großartiger Krimi aus verschiedenen Erzählperspektiven, mit Figuren, die einem bis auf den Polizisten, der den Fall unbedingt zu Ende bringen möchte, durchweg unsympathisch sind.
Aber das gibt, ähnlich wie bei »Gone Girl« oder »Girl on the train« auch den Gänsehauteffekt.
Dass hier die Gefühle und Gedanken der Witwe im Vordergrund stehen, gibt dem Fall eine spannende und unerwartete Komponente.
Die Autorin setzt nicht beim Opfer oder beim Täter an, sondern bei der Frau des mutmaßlichen Verdächtigen.
Die Witwe von Fiona Barton.
Genre: Belletristik, Psychothriller aus dem Englischen von Sabine Längsfeld
Verlag: Rowohlt Taschenbuch, Hamburg
Seiten: 428
Bookclub-Rating: 3 Thumbs up!
Und wer mehr wissen will:
Als Journalistin arbeitete Fiona Barton viele Jahre lang als Prozessbeobachterin und Gerichtsreporterin, dort entstand die Idee zu ihrem Debütroman und sie erklärt den Lesern in ihrer Einleitung: »Bei den großen Prozessen … ertappte ich mich dabei, wie ich die Ehefrau des Mannes auf der Anklagebank beobachtete und mich fragte, was sie tatsächlich wusste – oder sich selbst zu wissen erlaubte. … Ich wollte – ich musste – wissen, wie diese Frau mit der Vorstellung zurechtkommt, ihr Mann – der Mann, den sie gewählt hat- … könnte ein Monster sein.«
Die Skizzierung des Falles aus der Sicht einer Angehörigen macht den Roman vorhersehbarer, aus meiner Sicht aber nicht weniger spannend. Es ist die psychologische Komponente, die ich besonders interessant fand.
Wie geht man damit um, wenn ein Mensch, den man liebt und den man glaubt gut zu kennen, eines Verbrechens beschuldigt wird?
Im Zweifel für den Angeklagten?
Sicher möchte man seine Liebe und damit den eigenen Lebensentwurf beschützen.
Doch wie lange und zu welchem Preis?
Die Autorin hat das schlüssig ausgearbeitet und deshalb kann ich dieses Buch wirklich empfehlen.
Bea ging es genau so, sie sagt: »Als Mutter dreier Kinder verfalle ich regelmäßig in Schockstarre, wenn ich in den Nachrichten von Verbrechen an Kindern erfahre, ich fühle mit den Opfern, den Eltern und bitte und bete, dass die Polizei den Täter ermitteln kann. Nie habe ich mir Gedanken gemacht, wie sich die Angehörigen der Täter fühlen. Das es in diesem Buch genau um diese Menschen geht, fand ich ungewöhnlich und interessant.«
Johanna gefiel besonders das Ende: »Nicht übertrieben spektakulär, aber schlüssig und damit gut. Endlich mal ein Krimi, der durchgängig authentisch bleibt. Nichts von diesen absolut übertriebenen Wendungen, bei denen man glaubt, dem Autor sind die Pferde durchgegangen. Ich mag die Thriller von Sebastian Fitzek, es gefällt mir, wie er die Spannung aufbaut, um dem Leser dann mit einem absolut konstruierten Ende zu verwirren. Bei Fiona Barton gefiel mir nicht nur der Erzählstil – sie baut nur sehr langsam die Spannung auf und manches kann man sich denken – dennoch war das Ende spannend, unerwartet und vor allem glaubhaft. Ein empfehlenswertes Debüt!«
Nur Katrin war nicht überzeugt: »Die Figuren waren in der Tat durchweg unsympathisch, alleine deswegen mochte ich den Roman nicht. Es gab niemanden, mit dem ich mich wirklich identifizieren konnte, nicht mal mit der Mutter des kleinen Mädchens. Alle hatten irgendwie Dreck am Stecken, waren nur auf den eigen Vorteil bedacht. Allen voran die Witwe, fast unerträglich ihre devote und naive Art ihrem Ehemann gegenüber. Ich habe den Roman vorzeitig weggelegt.«
3 Thumbs up! für »die Witwe«, eine interessante psychologische Studie über die Angehörige eines mutmaßlichen Kindesentführers.
Viel Spaß und Spannung beim Lesen,
XXX Michaela
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